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OL als Demenz-Prophylaxe

Evolutionsgeschichtlich ist der Mensch ein kognitiv engagierter Ausdauersportler, sagen zwei amerikanische Wissenschaftler, die über ihre jüngsten Forschungsergebnisse im Magazin Scientific American (Ausgabe Jänner 2020) berichten.
Dass Bewegung das Gehirn in Schwung hält, weiß man schon länger. Neu sind Hinweise darauf, dass körperliches Training in Verbindung mit kognitiven Aufgaben für die grauen Zellen besonders vorteilhaft ist und sogar als Demenz-Prophylaxe wirksam sein könnte.
Bei kaum einer Sportart ist diese Kombination aus Bewegung und vielfältigen Denkaufgaben besser verwirklicht als beim Orientierungslauf.  

Bewegung stimuliert Bildung von Neuronen 

Experimente in den 1990er-Jahren zeigten erstmals, dass auch das Gehirn von erwachsenen Lebewesen wachstumsfähig ist.
Bei Mäusen bildeten sich im Hippocoampus, einer Gehirnregion, die für das Erinnerungsvermögen zuständig ist, neue Neuronen, wenn man sie in einem Hamsterrad laufen ließ.
Weitere Studien zeigten, dass auch das menschliche Gehirn von körperlichem Training profitiert, ja dass Bewegung sogar das Risiko, an Alzheimer und anderen neurodegenerativen Leiden zu erkranken, senken kann.
David A. Raichlen, Professor für Biologie an der University of Southern California, und Gene E. Alexander, Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Universität von Arizona, befassen sich mit verschiedenen Aspekten von Bewegung und Hirngesundheit. Ihre Schlussfolgerungen, die sie unter dem Titel "Why your brain needs exercise" in Scientific American präsentieren, sind faszinierend.

Das Hirn läuft mit 

Gemeinhin könnte man glauben, dass Gehen und Laufen automatisch ablaufen, ohne viel Hirnarbeit. Die Forschungsarbeiten von Raichlen, Alexander und anderen Wissenschaftlern weisen jedoch darauf hin, dass diese Form der Fortbewegung Kopf und Körper gleichermaßen beansprucht.
Die Wurzeln für dieses Phänomen könnten auf zwei Meilensteine in der Menschheitsgeschichte zurückzuführen sein: auf den Wechsel von der Fortbewegung auf vier Füßen zum aufrechten Gang vor sechs bis sieben Millionen Jahren und auf einen weiteren Entwicklungsschritt, der vor zwei Millionen Jahren stattfand, und den Menschen zum Jäger und Sammler werden ließ.
Damals änderte sich der Lebensstil unserer Vorfahren von einem beschaulichen, affenähnlichen Verhalten zu einem anspruchsvolleren Dasein mit komplexeren Anforderungen. Der Mensch stand vor der Herausforderung, beim Durchstreifen von Jagdgründen und fruchtbaren Gegenden sowohl körperliche als auch mentale Leistungen erbringen zu müssen.
David Raichlen und Gene Alexander sehen Hinweise darauf, dass der evolutionäre Druck, dem die Urzeitmenschen durch die vorgefundenen Lebensbedingungen ausgesetzt waren, seine Spuren in unseren Genen hinterlassen hat. Unser Gehirn braucht noch heute die Kombination aus Bewegung und geistiger Herausforderung, um bis ins hohe Alter gesund zu bleiben.
Jäger und Sammler blieben die Menschen über einen langen Zeitraum, nämlich bis vor 10.000 Jahren, als ein Wechsel zur Land- und Viehwirtschaft stattfand. Entsprechend nachhaltig sind die dabei angeeigneten Routinen in unseren physiologischen Ressourcen verankert.

Leistungen des Jägers und der Sammlerin

Was muss der Mensch können, wenn er erfolgreich Tiere jagen, Beeren und Pilze sammeln möchte?
Er muss seine Umgebung aufmerksam beobachten, wissen, wo er sich befindet, ein räumliches Vorstellungsvermögen vom Gelände entwickeln, die Landschaft nach Hinweisen für Essbares absuchen, den Seh- und Hörsinn nützen. Er muss sich erinnern können, wo er bereits war, Routen planen und sich mit anderen koordinieren.
Erfolgreich waren Jäger und Sammler dann, wenn ihre Muskeln und Neuronennetze optimal zusammenwirkten.
Heute weiß man, dass die Schaltzentrale für das räumliche Navigieren im Hippocampus liegt, genau jener Gehirnregion, die vom körperlichen Training profitiert und die beim Älterwerden nach und nach verkümmert. Die Herausforderung, sich mit anderen in der Gruppe abzustimmen, und gleichzeitig den Kontakt mit dem Gelände sowie die räumliche Orientierung nicht zu verlieren, wird teilweise vom präfrontalen Cortex bewältigt, einer Gehirnregion, die ebenfalls im Alter schwächer wird.

Das Gehirn braucht Herausforderungen

Die Überlegungen von Raichlen und Alexander gehen nun in die Richtung, dass anknüpfend an das evolutionäre Erbe Sport dann besonders nützlich für die Gehirngesundheit ist, wenn man ihn mit einer Kopfarbeit kombiniert.

Stupides Abspulen von Trainings am Laufband greift dabei zu kurz, meinen die Autoren. Wie unsere Vorfahren, die sich in einer umberechenbaren Umwelt aufhielten, würde unser Gehirn viel mehr vom körperlichen Training profitieren, wenn man kognitiv herausfordernde Komponenten einbezieht. Ganz besonders wirksam sei dieser Effekt bei älter werdenden Menschen, möglicherweise sei es sogar möglich, derTendenz, an Demenz zu erkranken, entgegenzuwirken.

Sportarten, die sowohl auf die physische Ausdauer abzielen, als auch die Lösung kognitiver Aufgaben erfordern, sind vermutlich gut geeignet, die geschilderten positiven Effekte auf die Gehirngesundheit zu bewirken.

Orientierungslaufsport kommt dem ursprünglichen Bewegungs-Setting der Jäger und Sammler erstaunlich nahe. Wir dürfen daraus schließen, dass diese Sportart daher das Gehirn besonders vorteilhaft in Schwung hält.

Zum Artikel in Scientific American

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